Warum Familienunternehmen anders ticken

Fairness. Transparenz, Verantwortung. Bewusstes Handeln. Werte, die sich jeder Arbeitnehmer in seinem beruflichen Umfeld wünscht.

Doch wo gibt es dies noch in Zeiten der „Global Player“, der Profitsteigerung um jeden Preis, der kühl kalkulierenden Management-Etagen? Die inherne-Redaktion hat sich auf die Suche gemacht und präsentiert in einer kleinen Serie Herner Unternehmer, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind.

Alles begann vor gut 50 Jahren mit zwei Seehunden im damaligen Tierpark Gysenberg. Alfred Stiebling senior, Gründer von „Reifen Stiebling“ im Jahre 1929, schenkte sie dem Zoo und taufte sie auf die Namen seiner Enkel Axel und Christian. Heute ist Enkel Christian, mittlerweile 58 Jahre alt, Geschäftsführer des Familienunternehmens, während die vierte Generation, Alexander Stiebling (24), bereits in den Startlöchern steht. Beide sind sich der sozialen Verantwortung für rund 200 Mitarbeiter, aber auch – der Großvater hat es vorgelebt – für die Stadt Herne bewusst: „Das ist eine Grundhaltung in unserer Familie, eine Selbstverständlichkeit“, so Christian Stiebling, der mit Ehefrau Iris zwei Söhne großgezogen hat, neben Alexander auch Tobias (22).

Menschen machen Mut
Nicht nur der Großvater, auch Vater Alfred Stiebling junior, Ende 2010 verstorben, gab seinen Kindern Haltung mit auf den Weg, nach innen wie nach außen. „Soziales Handeln ist ein zentraler Eckpfeiler in der Beziehung zu unseren Mitarbeitern, aber auch zu Kunden und Lieferanten“, sagt der heutige Chef Christian Stiebling: „Jeder kann etwas tun, und er sollte es dann auch tun.“ Der gebürtige Herner erinnert sich: „Mein Vater hat immer geräuschlos, aber sehr nachhaltig Verantwortung für andere übernommen. Nicht nur als Firmenchef, sondern auch im Lions Club oder in der Aufbauphase des Lukas-Hospizes.“ Er selbst spürte bereits in jungen Jahren, „dass ich gerne Dinge anschiebe, um Menschen Mut zu machen“. So gründete er gemeinsam mit dem legendären WAZ-Lokalchef Michael Thiele sowie der Revierpark Gysenberg GmbH die „Fröhliche Ferienstadt“, die sozial benachteiligten Kindern aus Herne über viele Jahre drei Wochen Urlaubsspaß bescherte. „Wir handelten nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe, das für mich bis heute gültig ist.“

Hilfe zur Selbsthilfe – das ist sozusagen der rote Faden durch alle Aktivitäten, die Christian Stiebling in den Folgejahren anstieß und begleitete. Er tat dies als Gründer des Vereins „Michael Thiele – Hilfe zur Selbsthilfe“, bei der Unterstützung der Initiative „Herne hilft“, oder beim Verein „Ruhrwerk“. Finanziell unterstützt „Reifen Stiebling“ u. a. das Lukas-Hospiz, die „Herner Tafel“, die „Christoph Metzelder Stiftung“, die Basketball-Abteilung des Herner TC, den TuS Haltern oder den Herner Silvesterlauf. Hinzu kommt persönliches Engagement, so seit der Gründung beim Radio Herne 90,8 oder beim Stadtmarketing und der Kulturinitiative.

Gut angelegtes Geld
Das Geld ist gut angelegt, finden Christian und Alexander Stiebling. „Wir gehen mit unserer Hilfe dorthin, wo die Menschen sind. Natürlich erhöht dies alles den Bekanntheitsgrad unseres Unternehmens und hilft uns nach außen, was wiederum neue Kunden anlockt. Aber auch nach innen, denn unsere Mitarbeiter identifizieren sich mit unserem Tun und daher auch mit der Firma“, hat Alexander Stiebling erfahren. Vater Christian ergänzt: „Wir haben einfach Spaß daran, etwas für diese Stadt zu bewegen. Die Herner nehmen unsere Einladung gerne an, zum Beispiel beim Comedy-Abend oder beim Public Viewing zu großen Fußballereignissen.“ Wenn einer Stadt wie Herne die Mittel für Hilfe fehlten, dann sei „Eigeninitiative gefragt“. Bisher sei er in seinem vielfältigen Engagement nie wirklich enttäuscht worden. Christian Stiebling: „Es kommt immer etwas zurück, wir haben wir großartige Menschen kennengelernt, die mit uns auf einer Wellenlänge liegen.“ Für ihn sei es „keine Anstrengung zu helfen, sondern Glück“.

Gerade in Zeiten, in denen der E-Commerce dem stationären Handel immer weiter das Wasser abdreht, wird „ein sehr gutes Betriebsklima, verknüpft mit gelebter sozialer Verantwortung für alle Mitarbeiter und für sein Umfeld“, immer wichtiger. Christian Stiebling: „Der Kunde spürt, wenn ein Unternehmen der Stadt, in der er lebt, oder dem Verein, in dem er Mitglied ist, die Hand reicht. Die großen Online-Player haben keine lokalen und regionalen Wurzeln. Wir sind ein echtes Familienunternehmen und gern im Ruhrgebiet zuhause. Darauf sind wir stolz.“

Was nicht heißt, dass sich „Reifen Stiebling“ dem Internet verschließt. Ein Tochterunternehmen in Essen kümmert sich um die Internetvermarktung mit einem professionellen Online-Shop. Alexander Stiebling: „Über die sozialen Medien pflegen und intensivieren wir den Kontakt zu Kunden, Mitarbeitern und neuen Auszubildenden, die immerhin zehn Prozent der Belegschaft ausmachen und sich vermehrt über Facebook bewerben.“

Fairness, Transparenz, soziales Handeln, Verantwortung – diese Werte erfüllt das Unternehmen täglich mit Leben. Dazu gehören flexible Arbeitszeitmodelle für Mütter und Väter oder Stromgutscheine, die Mitarbeiter vor dem jährlichen Abrechnungs-„Schock“ bewahren, aber auch Firmenfeste, Weihnachts- und Urlaubsgeld. Christian Stiebling: „Entgegen dem Trend in unserer Branche gibt es bei uns kaum Kündigungen. Dies liegt sicher auch daran, dass jeder Mitarbeiter merkt, wie wichtig er uns ist.“ Deshalb trägt auch die Imagebroschüre den Titel „Menschen mit Profil“ – und Bilder von allen Mitarbeitern schmücken die zwölf Filialen und auch die Räume in der Herner Firmenzentrale.

Nachfolge sorgfältig vorbereitet
„Reifen Stiebling“ – hinter diesem Namen steht ein selbstbewusstes, wirtschaftlich erfolgreiches Familienunternehmen aus Leidenschaft. Damit das noch möglichst lange so bleibt, werden die Weichen frühzeitig gestellt. Der heute 24-jährige Alexander ist bereit, das Steuer zu übernehmen. Er hat sich durch ein duales Bachelor-Studium, das Betriebswirtschaft an der Uni mit einer praktischen Ausbildung beim Reifen-Multi Continental in Hannover verband, sowie bundesweite Praktika bei befreundeten Reifenhändlern auf seine Aufgabe vorbereitet. Abgerundet wird die Lernkurve durch einen viersemestrigen Masterstudiengang am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen, einer vielbeachteten Einrichtung der Zeppelin-Universität. Und dann will es Vater Christian, Geschäftsführer seit 1996, so machen, wie er es selbst vor etwa 30 Jahren erlebt hat: „Mein Vater hat in der Übergabeperiode die Wippentheorie entwickelt. Zuerst saß er oben, dann trafen wir uns in der Mitte, und als er aufhörte, saß ich oben.“

Text: Jochen Schübel / Fotos: Frank Dieper